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Tierschutzskandal in Lüdelsen: Familie Timm vermisste nach ihrer Rückkehr nicht nur Pferde, sondern auch Inventar.

http://www.az-online.de/nachrichten/altmarkkreis-salzwedel/beetzendorf/warum-niemand-kontrolliert-1550609.html

„Warum hat ihn niemand kontrolliert?"

04.01.12|Beetzendorf|
 

Lüdelsen. Es fällt ihr immer noch sichtlich schwer über die Ereignisse der zurückliegenden Wochen zu reden.

© Mittank

Nachdem die 49-jährige gelernte Pferdewirtin und Turnierreiterin Britta Timm sowie ihr Ehemann Norbert Anfang Dezember nach fünf Monaten Untersuchungshaft wegen Hanfanbaus entlassen waren, traf sie auf ihrem Hof in Lüdelsen angekommen der Schock.

Der 13-jährige Zuchthengst Windgold, ein in Fachkreisen bekannter hochdekorierter Zwei-Sterne-Prämienhengst, lag völlig abgemagert und dem Tode nahe vor der Stalleinfahrt. Für das Tier, das die Züchterin selbst gezogen hatte, kam jede Hilfe zu spät. Schweren Herzens musste sie der Einschläferung des Anglo-Arabers durch den Tierarzt zustimmen. Um weitere Pferde der Eheleute war es nicht viel besser bestellt. Sie standen zum Teil völlig verwahrlost und bis auf das Skelett abgemagert in den Ställen herum. „Die in der Bewegungshalle untergebrachten Pferde hatten bereits angefangen, Sand zu fressen“, berichtet die Pferdewirtin, die am Abend ihrer Rückkehr zudem auf einen stark verwesten Pferdekadaver gestoßen war (wir berichteten). Was war geschehen? Als die Eheleute Timm nach einem SEK-Einsatz Ende Juni verhaftet wurden und in U-Haft kamen, hatten sie sich rasch um eine Lösung für ihre Tiere bemüht. Über eine Bekannte kam schließlich der Kontakt zu einem vermeintlichen Tierschützer in Hanum zustande. „Der Mann hatte sich und seinen Hof im Internet als Kleintiernothilfe Hanum präsentiert und war Mitarbeiter des Tierheimes in Ahlum – wir waren überzeugt, unsere Tiere in beste Hände gegeben zu haben“, blickt Norbert Timm zurück.

Mit dem Hanumer wurde schließlich ein Abkommen vereinbart. Er sollte sich für zwei Jahre – so lange hatten die Timms zunächst geglaubt, hinter Schloss und Riegel zu sein – um das Anwesen und vor allem um die Tiere der Eheleute kümmern. Als Gegenzug bekam der angebliche Tierfreund fünf der insgesamt neun Pferde zugesprochen. „Welche das sind, haben wir genau festgelegt“, erzählt Britta Timm. Zusätzlich zu den ihm anvertrauten Tieren hatte der Hanumer allerdings noch fünf weitere Pferde, die aus einer Beschlagnahme stammen, auf dem Vierseitenhof in Lüdelsen untergebracht. „Das ist doch verrückt, die Tiere wurden vom Veterinäramt beschlagnahmt, weil sie fast verhungert waren – hier bekamen sie schließlich den Rest“, kann Norbert Timm nur den Kopf schütteln. Dass ein Großteil der Pferde offensichtlich weder genug Futter noch ausreichend Wasser bekamen, ist den Eheleuten völlig unverständlich. Zumal das Ahlumer Tierheim insgesamt 32 Ballen Grassilage und etwa eine Tonne Rübenschnitzel für die Tiere bereitgestellt hatte.

Der Aufenthalt in der Haft sollte für die Eheleute jedoch kürzer als erwartet ausfallen. „Wir sollten am 16. Dezember auf Bewährung entlassen werden, kamen aber bereits am 6. Dezember auf freien Fuß“, berichtet Britta Timm. Noch etwa zehn Tage vor diesem Termin hatte sie Post aus Hanum erhalten: „Das ist ja eine erfreuliche Nachricht, dass sie vielleicht noch vor Weihnachten wieder zu Hause sind“, heißt es in einem Brief des ehemaligen Tierheim-Mitarbeiters. Und weiter: „Den Tieren geht es allen gut. Sie brauchen sich jetzt keine Sorgen um Futtermittel machen, es ist alles vorhanden und wir können uns dann persönlich zusammen Gedanken um alles weitere machen.“

Völlig unwissend über die schrecklichen Zustände auf ihrem Hof kamen die Eheleute schließlich zu Hause an. Zu diesem Zeitpunkt fehlten bereits drei der fünf versprochenen Pferde. „Wir wollten unbedingt in Erfahrung bringen, was aus diesen Tieren geworden ist“, sagt Norbert Timm. Über den Aufruf in der Altmark-Zeitung hatten sich schließlich zahlreiche Personen bei den Lüdelsenern gemeldet. Eine dreijährige Stute steht nun in Rätzlingen. Tierfreunde hatten sie aus Mitleid gekauft, um sie wieder aufzupäppeln. Auf den schlechten Zustand angesprochen, soll der Hanumer auf eine angebliche Beschlagnahme der Stute verwiesen haben, erzählt Britte Timm. Kurz vor Weihnachten hatte sich eine Frau aus Glüsingen gemeldet, die ein abgemagertes Pony gekauft hatte. „Dem Tier geht es wieder deutlich besser, es soll dort bleiben“, so die Pferdewirtin. Das dritte Pferd, der sechsjährige Wallach Winni, hatte der Hanumer offenbar kurz vor der Hausdurchsuchung Mitte Dezember an Bekannte aus der Nachbarschaft abgegeben. „Die Leute tun alles, damit das Tier wieder auf die Beine kommt“, freut sich die 49-Jährige, die außerdem die Hofkatze, fünf Schweine sowie drei Galloway-Rinder bei ihrer Rückkehr vermisst hatte. Mit Ausnahme der Katze haben sich auch diese Tiere wieder angefunden. „Die Schweine bekommen wir zurück, die Rinder will der neue Besitzer nicht ohne weiteres wieder herausrücken“, erzählt Britta Timm. Nicht nur auf dem eigenen Hof, sondern auch auf dem in Lüdelsen hatte der Hanumer offenbar in letzter Minute versucht, Spuren der Tierquälerei zu beseitigen.

Von dem Fahrer eines Abdeckerbetriebes habe Britte Timm erfahren, dass kurz vor ihrer Rückkehr ein totes Pony abgeholt wurde. „Der Fahrer soll gesagt bekommen haben, dass er am nächsten Tag noch ein weiteres Tier abholen könne“, berichtet die Pferdezüchterin. Gemeint war offensichtlich der Zuchthengst Windgold, der stattdessen in die Pathologie gebracht wurde.

Rätsel gab der vorgefundene Pferdekadaver auf. Zunächst war unklar, woher dieses Tier stammt. „Es handelt sich wohl um eines der beschlagnahmten Tiere des Tierheimes“, hat Norbert Timm erfahren. Doch nicht nur über den Zustand der Pferde zeigten sich die Eheleute geschockt. Als sie sich nach ihrer gut fünfmonatigen Abwesenheit auf ihrem Hof umsahen, fehlte ein Großteil des Inventars. Eine verschwundene Kutsche und ein Pferdeanhänger haben sich mittlerweile wieder angefunden. Ein Großteil des verkauften Werkzeuges ist dagegen spurlos verschwunden. Der Hanumer hatte zudem eine Lkw-Ladung Bauholz vom Lüdelsener Hof an das Tierheim in Ahlum verschenkt. Beim Besuch der Einrichtung hatte Norbert Timm das bereits zum Teil verbaute Material wiedererkannt.

„Der Herr B. hat behauptet, es gehört ihm. Wir haben für die Timms bereits neues Holz bestellt“, erklärte Tierheim-Chefin Ursula Lohse. Damit nicht genug: Auch Möbel, Schmuck, Kleidung, DVDs und weitere Wertgegenstände fehlen aus dem Wohnhaus der Timms. Auf sieben DIN-A4-Seiten haben die Eheleute die verschwundenen Sachen aufgelistet. „Wir sind derzeit fast völlig mittellos“, sagen Britta und Norbert Timm, die sich vor allem eines fragen: „Warum hat diesen Mann keiner kontrolliert?“

Von Matthias Mittank

letzte Änderung: 08.01.2012